Volkswirtschaftslehre - Dr. Jürgen Faik

Letzte Aktualisierung am 30.10.2019

Standpunkt

In the long run...

zurück zur Übersicht25.08.2005

Es war der wohl berühmteste Ökonom des 20. Jahrhunderts, Lord John Maynard Keynes, der den bekannten Satz "In the long run we are all dead." prägte. Was er damit zum Ausdruck bringen wollte, war, dass seines Erachtens Wirtschaftspolitik (auch) kurzfristig, konjunkturpolitisch orientiert sein sollte. Hiermit verbunden war ein grundlegender Paradigmenwechsel weg von Vorstellungen, die dem Staat lediglich die Funktion eines "Nachtwächters" zuwiesen, und hin zu Vorstellungen, welche Staatsinterventionismus nicht grundsätzlich als "Teufelszeug" verdammten. Einher ging dieser Paradigmenwechsel mit einer methodischen Veränderung: Weg von der mikroökonomischen und hin zur makroökonomischen Perspektive.

Fast sechzig Jahre nach Keynes' Tod (1946) muss man das obige Zitat wohl dahingehend abwandeln, dass die von Keynes zur Blüte erweckte Makroökonomik inzwischen im Sterben liegt, ja vielleicht sogar schon faktisch tot ist: "In the long run the macroeconomics will be dead."

Dies wird recht deutlich an Hand der aktuell in Deutschland praktizierten Wirtschaftspolitik. Eine Sozialdemokratie beispielsweise, welche früher den Keynesianer Karl Schiller als Wirtschaftsminister in ihren Reihen hatte und welche selbst 1998 noch in Gestalt des "Superministers" Oskar Lafontaine und seines Staatssekretärs Heiner Flassbeck zwei bekennende Makroökonomen an vorderster Front positioniert hatte, bietet heute den im Wesentlichen auf Haushaltskonsolidierung bedachten "Bundes-Kämmerer" Hans Eichel als Finanz- und den als eher neoliberal (also als mikroökonomisch ausgerichteten Neoklassiker) einzustufenden Wolfgang Clement als Wirtschaftsminister auf. Dies steht ganz in der jungen Tradition einer gleich nach dem Antritt der rot-grünen Regierung im Jahre 1999 verkündeten Schrift von Bodo Hombach, in der das Motto "Fördern und fordern" vorgegeben wurde. In dieser Schrift findet sich im Grunde genommen kein einziger Hinweis auf makroökonomisches Gestaltungspotenzial; es ist vielmehr durchdrungen von marktliberalen Ideen auf der Mikroebene. Trotz der zumindest teilweise vorhandenen Berechtigung des Grundansatzes handelt es sich hierbei demnach um eine sehr einseitige Parteinahme zugunsten mikroökonomischer Konzepte.

Doch nicht nur in der praktischen Wirtschaftspolitik, sondern auch im akademischen Lehrbetrieb befindet sich die Makroökonomik auf dem Rückzug. Am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Frankfurt/Main - einst ein Hort keynesianischen Gedankentums - kommt im neuen Studienplan der Begriff "Makroökonomik" erst gar nicht mehr explizit vor. Wer die Makroökonomik dort sucht, findet sie lediglich versteckt - und abgespeckt - unter "Geld und Währung". Diese Herabstufung der Makroökonomik im akademischen Bereich ist kein Einzelfall. Makroökonomische Politik wird mit staatsinterventionistischer Politik gleichgesetzt und mit der - allerdings doch recht tönernen - Bezugnahme auf die allerorten hohen Staatsdefizite gleichsam verdammt.

Hat die Makroökonomik diese Herabstufung nicht vielleicht sogar verdient?, ist man geneigt zu fragen angesichts des doch recht hohen Abstraktionsgrades und der dadurch bedingten schweren Nachvollziehbarkeit makroökonomischer Konzepte. Sicherlich, die Makroökonomik ist durch Informationsverdichtung geprägt, was naturgemäß mit Informationsverlusten und Ungenauigkeiten einhergeht. Gleichwohl, welche andere wirtschaftswissenschaftliche Methode wäre geeigneter, um die Kreislaufzusammenhänge der Wirtschaft abzubilden und zu thematisieren? Gerade in einer globalisierten Welt sind die Kreislaufzusammenhänge und ihre wissenschaftliche Durchdringung wichtiger denn je.

Indem die aktuelle theoretische und praktische Wirtschaftspolitik-Diskussion einseitig auf betriebswirtschaftliche und mikroökonomische Betrachtungsebenen Bezug nimmt, sieht sie etwa die Arbeitseinkommen der abhängig Beschäftigten - die Löhne - ausschließlich als Kostenfaktor an, die es im internationalen (Globalisierungs-)Wettbewerb zu reduzieren gelte. Es wird in diesem Zusammenhang gerne auf Vergleiche mit den (angeblich) viel kostengünstiger produzierenden USA verwiesen (wobei derartige Vergleiche allerdings oft im Detail durch Wechselkursschwankungen und zum Teil auch durch sektoral bzw. regional unzulässige Abgrenzungen - etwa in Form der Nichtberücksichtigung der vergleichsweise niedrigen ostdeutschen Lohnkosten - verzerrt sind). Warum aber, so ist zu fragen, stellt sich dann die deutsche Handelsposition - selbst nach Herausrechnen der Sinn'schen "basarökonomischen" Effekte - um so viel besser dar als die der USA - und auch der zahlreicher weiterer Staaten?

Durch die einseitige Bezugnahme auf die mikroökonomischen Veränderungen in den USA wird indes verschwiegen, dass gerade die USA zur Ankurbelung ihrer Binnenkonjunktur auf der Makroebene aktiv sind. Zinssenkungen waren dort lange Zeit nicht derart tabu wie im Euro-Raum, und auch - was überraschen mag - Marktinterventionen des Staates erscheinen dort als wirtschaftspolitisches Mittel zur Ankurbelung der Binnennachfrage im Unterschied zur Sicht hierzulande nicht gleichermaßen dämonisiert.

Was ist zu tun, um Deutschland wieder wirtschaftlich - gerade auf dem Arbeitsmarkt - nach vorne zu bringen? Ich meine, dass auch intelligente Strategien auf der Makroebene gefragt sind, die die Produktivität und das Wachstum in diesem Lande beschäftigungswirksam erhöhen. Dazu gehören etwa staatliche Investitionen in Forschung und Entwicklung, was in einem rohstoffarmen Land wie der Bundesrepublik besonders wichtig erscheint. Auch gehören dazu Beschäftigungspakte zwischen Unternehmerschaft, Gewerkschaften und Staat zur Sicherung von Arbeitsplätzen bzw. zur Einstellung gerade auch älterer Arbeitnehmer. Des Weiteren sollten arbeitsmarktpolitische Maßnahmen stärker perspektivisch ausgerichtet werden, als dies derzeit z. B. mit den "Ein-Euro-Jobs" der Fall ist. Zudem sollte eine expansivere Geldpolitik nicht von vorneherein als wirtschaftspolitisch unsinnig angesehen werden. Auch der bisherige Euro-Stabilitätspakt sollte m. E. nicht derart sakrosankt sein wie er (immer noch) zu sein scheint.

Alles in allem hätte m. E. in einer effizienten Wirtschaftspolitik - zugestandenermaßen zusammen mit notwendigen, maßvollen Strukturmaßnahmen etwa auf dem Arbeitsmarkt bzw. allgemeiner: auf der Mikroebene - die Makroökonomik weiterhin ihren Platz. Erforderlich erscheint eine “Neoklassische Synthese“, welche ihren Namen auch in der Praxis verdient.

Jürgen Faik